23.04.2024

Anton Bruckners Sinfonie Nr. 6 A-Dur

Zum weltweit ersten Mal werden im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 2024 alle elf Sinfonien Bruckners im Originalklang zur Aufführung kommen, eine Entdeckungsreise in elf Konzerten, die als Zyklus nur im Brucknerhaus Linz und dort jeweils exklusiv in Österreich zu hören sind. 

Die Sinfonien erklingen dabei stets in ihrer Erstfassung, gespielt werden sie von elf der renommiertesten Originalklangorchester Europas unter der Leitung von elf namhaften Dirigenten. Im Interview geben sie Auskunft über ihre Sicht auf Bruckner und darüber, welche Erwartungen sie mit Blick auf dieses besondere Projekt haben.

Am 17. September präsentiert Les Musiciens du Louvre unter der Leitung von Marc Minkowski Anton Bruckners Sinfonie Nr. 6 A-Dur, WAB 106 (1879–81) sowie Werke von César Franck.

 

Marc Minkowski im Interview

 

Jan David Schmitz: Wieso eigentlich Bruckner im Originalklang?

Marc Minkowski: In Frankreich könnte die Antwort lauten: Weil es natürlich klingt. Wir haben uns, vor allem dank des Festivals von Saintes, an diese Art, Anton Bruckners Sinfonien zu hören, gewöhnt. Wir sind auf den Geschmack gekommen. Les Musiciens du Louvre haben in Wien, Paris und Versailles Richard Wagner gespielt, sowohl im Konzertsaal als auch in der Oper. Wir haben ferner Franz Schuberts acht Sinfonien in Wien aufgenommen. Ist Bruckner, diese Klang gewordene mystische Ehe von Schubert und Wagner, da nicht eine naheliegende Fortsetzung?

JDS: Worin liegen aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zwischen der Aufführung einer Bruckner-Sinfonie auf historischen im Vergleich zu modernen Instrumenten?

MM: Bei Bruckner hat die Frage des Klangs entscheidend mit Balance, Linie und Phrasierung zu tun. Die ersten Aufführungen seiner Sinfonien auf historischen Instrumenten waren eine Reaktion auf den immer wuchtiger werdenden, weniger phrasierenden Stil der traditionellen Orchester. Die deutsche Posaune von 1860 etwa ist leichter in den Gesamtklang zu integrieren als die heutige amerikanische Posaune. Aber auch die Spannung der hohen Streicher, die Größe der Trommeln – alles ermutigt dazu, anders zu spielen und damit auch anders zu hören.

JDS: Weshalb hat die historische Aufführungspraxis gerade um Bruckners Sinfonien so lange einen großen Bogen gemacht?

MM: Es gab schlicht keinen Bedarf. Bruckner gehörte zum festen Repertoire von Orchestern wie den Wiener oder Berliner Philharmonikern sowie den US-amerikanischen Big Five – und schließlich so gut wie jedem Sinfonieorchester der Welt. Legendäre Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler, Karl Böhm, Günter Wand, Sergiu Celibidache, Eugen Jochum und viele andere setzten so hohe Maßstäbe, dass es schon für deren Nachfolger schwer genug war, daran anzuknüpfen. Was konnte man da groß von der Originalklangbewegung erwarten? Erst die Fortschritte dieser Ensembles in Bezug auf Können und Kultur haben hier einen Wandel herbeigeführt.

JDS: Wie wird der Einsatz des historischen Instrumentariums unser Bruckner-Bild verändern?

MM: Instrumente sind nur Werkzeuge. Bruckner ist ein Kosmos für sich, nicht eine Reihe von Techniken. Die Architektur, die Seele seiner Musik „gehören“ weder der historischen noch der modernen Aufführungspraxis. Das Orchester ist nur ein Mittel zum Ausdruck, nicht der Ausdruck selbst. Wenn wir interpretieren, dienen wir und können nur hoffen, so aufrichtig wie möglich zu dienen. Instrumente aus Bruckners Zeit setzen wir ein, weil es naheliegend erscheint, lohnend und ja, auch aufregend.

JDS: Warum die ‚Sechste‘? Was fasziniert Sie an diesem Werk?

MM: Ich habe schon Bruckner-Sinfonien dirigiert, aber dies wird meine erste ‚Sechste‘ sein, die viel seltener gespielt wird als etwa die ‚Fünfte‘ und ‚Siebte‘. Auch wenn sie zu Bruckners Lebzeiten nie vollständig aufgeführt wurde, muss er mit ihr zufrieden gewesen sein, denn er hat keine weiteren Fassungen erstellt. Es ist vielleicht seine kühnste und risikofreudigste Sinfonie. Zwar wirft das Finale Fragen auf, verfehlt jedoch sein Ziel nicht: wie ein Halleluja direkt in den Himmel aufzusteigen. Bruckner nutzt das Orchester als einen Weg ins Jenseits. Das ist der Weg, den wir versuchen werden, nachzugehen. Dramatisch und musikalisch, aber mehr spirituell als materiell.

 

Marc Minkowski © Georges Gobet
Marc Minkowski © Georges Gobet
Zurück zur Übersicht