23.09.2020
Thomas Quasthoff, nach seiner glänzenden Karriere als klassischer Sänger nun ebenso erfolgreich im Jazz, stellte im Brucknerhaus sein neues Programm FOR YOU vor.
Danke, es geht ihm gut – auch in diesen seltsamen Zeiten! Bassbariton Thomas Quasthoff sagt, er sei glücklich verheiratet, habe in seinem Garten während des Shutdowns den Frühling kommen sehen und freue sich, wieder auftreten zu können. Er, der an der Wiener Staatsoper einst als Amfortas in Wagners Parsifal bejubelt wurde und ein großer Konzert- und Liedsänger war, bereut auch im Rückblick seine Entscheidung nicht, das Genre gewechselt zu haben. Er konnte die Qualitäten seiner magischen Klassikstimme durch Sensibilität, Entschleunigung und das Gefühl für Swing ins Jazzfach übertragen. Sein Umgang mit dem Instrument Mikrofon ist genregerecht. Besonders bei Balladen kommt das Charisma seines einzigartigen Timbres wunderbar zur Geltung. Und auch den Scat-Gesang, das Improvisieren mit einer Art Fantasiesprache, weiß Thomas Quasthoff humorvoll zu zelebrieren. Es ist mit hoher Qualität des Entertainments zu rechnen. Am 17. September 2020 stellte Thomas Quasthoff im Brucknerhaus sein neues Programm For you vor. Mit ihm sprach Ljubiša Tošić.
Wie legen Sie Ihr neues Programm For you an?
Wir präsentieren Songs, die lange existieren, die wir aber für uns neu adaptiert haben. Es sind Stücke, die ich unglaublich gerne singe. Mit dabei sind auch Lieder von Curtis Stigers und Popkomponist Paul Simon. Es macht Spaß, mit den Jungs neue Dinge zu bearbeiten, ich hatte bei den Proben immense Freude. Ich habe ja das große Glück, mit einem Trio zu spielen, mit dessen Mitgliedern ich sehr eng befreundet bin. Es sind Kontrabassist Dieter Ilg, Schlagzeuger Wolfgang Haffner und Pianist Simon Oslender. Und unsere gute Beziehung ist das, was, so denke ich, auch auf der Bühne rüberkommt. Dass das Trio immer noch große Säle füllt, zeigt, dass wir zusammen schon etwas erschaffen, und natürlich sind die drei auch große Könner. Wenn ich über mich sprechen darf: Wenn ich etwas zuwege gebracht habe im Laufe meiner Karriere, dann ist es die Tatsache, dass ich immer wahrhaftig geblieben bin und vermochte, bei mir zu bleiben. Auch beim Liedgesang habe ich keinen Fake betrieben. Man hat mir mitunter zwar Emotionslosigkeit vorgeworfen, ich konnte das aber nicht nachvollziehen und habe mich schon etwas geärgert. Die Kritiken habe ich schon gelesen. Ich denke, das tun wir alle, auch wenn es viele nicht zugeben wollen …
Aber Ihre berühmte Scat-Nummer wird schon Teil des aktuellen Programms sein?
Ein paar frühere Dinge werden dabei sein, die Publikumsknaller, da wäre man ja dumm, sie nicht einzubauen. Ich bin ein Spaßmusiker und die Scat-Nummer gehört da auch einfach dazu. Wäre sie schlecht, behaupte ich jetzt mal, würde ich sie nicht machen. Da bin ich sehr streng zu mir und die Kollegen würden mir genauso sagen: „Du Thomas, äh, das ist jetzt nicht gerade so toll ...“ Das ist jedoch noch nicht passiert!
Fühlen Sie sich jetzt im Jazz freier und mehr bei sich als einst bei der Klassik?
Nein, um Gottes willen! Das würde ich nicht sagen. Es ist einfach eine andere Musikrichtung. Wenn ich meine Abende in Mailand, Wien oder New York gegeben habe, war das schon auch Meines. Wenn mir einer vor 35 Jahren gesagt hätte, dass ich mit Martha Argerich, Emanuel Ax, James Levine, Daniel Barenboim oder András Schiff und den vielen anderen bei Liederabenden zusammenarbeiten würde, hätte ich gesagt: Ihr habt ja nicht alle Tassen im Schrank! Nein, es war eine tolle Zeit, ich liebe die Klassik noch immer. Aber es hat alles seine Zeit, jetzt mache ich etwas anderes.
Eine Winterreise wird man somit von Ihnen nicht mehr hören?
Die wird man von mir nicht mehr hören, ich bin 60, es sollen die Jungen zeigen, was sie können.
Sie sind ja eigentlich am Höhepunkt abgetreten.
Gott sei Dank! Ich habe mit Leuten begonnen, die waren lyrische Baritone und sie meinen jetzt, große Bassrollen singen zu müssen. Das hört man den Stimmen auch an … Ich brauche das nicht. Und was kann schöner sein, als Leute zu treffen, die sagen: „Ihr Rücktritt hat uns damals schwer getroffen.“ Das ist doch viel schöner, als wenn sie sagen würden: „Es wurde aber auch Zeit.“
Aber das, was Sie jetzt machen, wollen Sie schon noch eine Weile praktizieren?
Ich leide nicht am Johannes-Heesters-Syndrom, aber ein paar Jahre würde ich das schon noch gerne machen. Es ist im Jazz doch alles etwas entspannter. Ich will Atmosphäre und Freude schenken, das ist meine Berufung, ob ich nun lese oder Songs aus der 20er-Jahren singe. Nichts anderes habe ich allerdings auch damals im Lied und in der Oper versucht.
Trainieren Sie den Jazz?
Nö! Wissen Sie, ich habe von meiner Gesangslehrerin gelernt, stumme Gesangsübungen zu machen. Das tue ich jeden Tag, das läuft über die Vorstellungskraft. Ansonsten proben wir und haben das für dieses Programm im März vier Tage lang auf Schloss Elmau in aller Ruhe gemacht. Das war sehr schön, jetzt wollen wir mal gucken, wie das ankommt. Ich freue mich, dass es endlich losgeht mit Konzerten.
Wie ging es Ihnen während des Shutdowns?
Ich zitiere jetzt meine Frau: Sie meint, ich hätte das Ganze in sehr ausgeglichener, ruhiger und völlig unprätentiöser Art und Weise überstanden. Wir haben natürlich ein sehr schönes Zuhause, ich bin ein Familienmensch und ich leide finanziell Gott sei Dank keine Not. Ich habe meine Musik, ich kann lesen, mehr brauche ich nicht. Und: Ich konnte den nahenden Frühling täglich beobachten, was ich in den letzten 30 Jahren nie so intensiv tun konnte. Ansonsten verbringe ich meine Zeit auch damit, dass mir meine Studenten Aufnahmen schicken, die ich mir anhöre und mit ihnen bespreche. Ich habe meine Studenten übrigens in Ruhe gelassen, bis sie sich bei mir gemeldet haben. Ansonsten habe ich mir die Zeit auch mit YouTube vertrieben, um mir Sänger und Interviews von früher anzuhören.
Eigentlich paradox: Sie unterrichten Klassik, singen aber Jazz?
Wissen Sie, in meinem Leben war mehr oder weniger alles situationsbedingt. Mein Bruder starb, dann bekam ich aus psychischen Gründen Probleme auch mit meiner Stimme, mein Bruder war ja die wichtigste Person in meinen Leben. Das Elternhaus, ja natürlich. Aber zu meinem Bruder hatte ich eine außergewöhnliche Beziehung, das kann ich ohne Übertreibung sagen. Wir haben sehr viel zusammen unternommen, wir hatten einen ähnlichen Humor. Wir haben uns gut verstanden, es gab nie eine Neidsituation, eigentlich haben wir einander gegenseitig bewundert. Ich fand immer sehr interessant, wie gut mein Bruder schreiben konnte. Und er fand umgekehrt gut, was ich so künstlerisch getan habe. Und so war die Frage, nachdem er an Krebs gestorben und das mit meiner Stimme passiert war: Was mache ich jetzt? Höre ich ganz auf? Das war tatsächlich auch mein erster Gedanke. Dann kam die Stimme irgendwie aber auch zurück. Und durch diese lange Pause, die dreieinhalb Jahre dauerte, reifte dann in mir die Entscheidung, etwas anderes zu machen. Ich war immer einer jener Sänger, die das Singen an sich sehr gerne hatten. Nur das ganze Drumherum, etwa die Diskussionen mit den Plattenfirmen, das hat auch immer weniger Spaß gemacht. Irgendwann dachte ich, das nicht mehr zu brauchen. Die Entscheidung für das, was ich jetzt tue, habe ich allerdings keine Sekunde bereut. Der Umgang unter Jazzmusikern ist ein anderer als in der Klassik. In der Klassik, so mein Eindruck, gibt es mehr Neid, auch mehr Oberflächlichkeit als im Jazz.